Aus meinem Bücherregal |
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Kohl-Witze – Erklärt ihm die Pointe nicht! | ||||||||||||||||||||
Die 1980er-Jahren waren eine sehr politische Zeit: Nato-Doppelbeschluß mit Pershing-II-Stationierung, Friedensbewegung und Ostermärsche, Atomstrom-Debatte, Umweltpolitik, Frauenbewegung, Volkszählung. Hinzu kam auch noch die Lesben- und Schwulenbewegung sowie die Kießling-Affäre, auf die die Formulierungen in dem oben zitierten Kohl-Witz anspielen. Es war die mangelhafte Ermittlungsarbeit des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), die schließlich als eine wesentliche Komponente der Kießling-Affäre erkannt wurde. Und ich war als Teenager quasi mittendrin, habe die Geschehnisse über Radio und Fernsehen, über Zeitungen und Zeitschriften mitbekommen. Meine Mutter las täglich die Ruhr-Nachrichten, mein Vater hörte viele Wortbeiträge im Radio, die wöchentlich erscheinenden Zeitschriften Spiegel und Stern lagen häufig bei uns im Wohnzimmer. So bin ich aufgewachsen in der Hochphase des Kalten Krieges zwischen Ost und West, habe die deutsche Teilung verinnerlicht, habe den Wechsel der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl durch das Auseinanderbrechen der sozial-liberalen Koalition und das konstruktive Misstrauensvotum in den Nachrichten miterlebt. Die 1980er-Jahre waren, zumindest zu ihrem Beginn, auch die Zeit einer neuen Musikrichtung: Neue Deutsche Welle. Mit frechen deutschen Texten wurde die heile Welt der Schlagermusik veralbert, es wurden umweltpolitische
Die lange Kanzlerschaft von Helmut Kohl, sein eher behäbiges Auftreten, seine mangelnden Kenntnisse der englischen Sprache und die kontroversen Positionen im Ost-West-Konflikt machten den Bundeskanzler auch zur Zielscheibe vieler Witze.
Bei aller Ernsthaftigkeit des Kalten Krieges, der Angst vor dem atomaren Erstschlag oder der Vernichtung unserer Lebensgrundlagen durch weitere Umweltzerstörung war die Bundespolitik doch auch durch eine gewisse Lockerheit ausgezeichnet: Arbeitsminister Norbert Blüm trat bei Rudi Carell im Fernsehen auf, prägte den Satz "Spaß muß sein" und nahm mit großer Freude den "Orden wider den tierischen Ernst" des Aachener Karnevalsvereins entgegen. Außenminister Hans-Dietrich Genscher ließ eine Karrikatur mit seinen riesigen Ohren das offizielle Briefpapier des Auswärtigen Amtes zieren, um damit Humor und Bürgernähe zu zeigen. Kohl-Witze kursierten damals in großer Zahl. Zum Teil hatten sie tatsächlich einen politischen Inhalt, zum Teil hätte man sie aber genauso auch über jede andere Person erzählen können. Dabei sind die Witze über den Bundeskanzler Helmut Kohl durchaus eine Besonderheit. Weder über seine Vorgänger Willy Brandt und Helmut Schmidt noch über seine Nachfolger Gerhard Schröder und Angela Merkel wurde so viel gespottet. Lag dies ausschließlich an der besonderen Zeit der 80er oder gab die Person Helmut Kohl besonderen Anlaß für Witze und Gemeinheiten? In meinem Video reise ich nicht nur zu dem von Geier Sturzflug besungenen Canale Grande (der tatsächlich "Canal Grande" heißt), um mich davon zu überzeugen, daß hier doch noch keine U-Boote zu sehen sind, sondern stelle auch ein Buch mit einer stattlichen Sammlung von Kohl-Witzen vor, das Der Autor Wolfgang Günther Fienhold sammelte bereits Anfang der 80er zahlreiche Kohl-Witze und veröffentlichte diese 1984 als Buch im Eichborn-Verlag, auch bekannt unter dem Namen "Der Verlag mit der Fliege". Er wählte dabei das Pseudonym "Heidi Fienhold", unter dem man das Buch auch heute noch in Verzeichnissen antiquarischer Bücher findet. Immerhin hatte er sich unter seinem Namen Wolfgang G. Fienhold bereits als Autor ernsthafter gesellschaftskritischer Literatur etabliert. So stammt die Romanvorlage des erfolgreichen Films "Die flambierte Frau" von Wolfgang Günther Fienhold. Das Titelbild des Buches "Kohl-Witze" vereint gleich zwei Politiker, die damals die Bundesrepublik Deutschland polarisierten und über die zahlreich gespottet wurde: Helmut Kohl im Titel und Franz Josef Strauß im Bild mit der Sprechblase "Erklärt ihm die Pointe nicht". Helmut Kohl (CDU) und Franz Josef Strauß (CSU) waren lange Zeit Konkurrenten innerhalb der Unionsparteien, beide waren früher Bundesminister und beide wollten Bundeskanzler werden, doch nur Helmut Kohl wurde tatsächlich Bundeskanzler, während Franz Josef Strauß als Ministerpräsident von Bayern dort quasi der Lokalfürst blieb. Aber die Witze-Sammlung ist auch eine Begegnung mit zahlreichen anderen Politikern: Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, gegen den damals gerade Ermittlungen wegen der Flick-Affäre liefen, Außenminister Hans-Dietrich Genscher der von der Regierung Helmut Schmidt nahtlos in die Regierung Helmut Kohl gewechselt war, Familienminister Heiner Geißler,
Als Vertreter der internationalen Politik begegnem dem Leser der amerikanische Präsident Ronald Reagan, der Staatschef der Sowjetunion (UdSSR) Konstantin Tschernenko und die Premierministerin des Vereinigten Königreichs Großbritannien Margaret Thatcher. Denn die 80er waren nicht nur die Zeit des Kalten Krieges, in dem sich Ronald Reagan und erst Leonid Breschnew, kurzzeitig Juri Andropow, dann Konstantin Tschernenko, schließlich Michail Gorbatschow gegenüberstanden, sondern auch die Zeit der Liberalisierung der Märkte. Auf die Achse Reagan-Thatcher geht die Welle der Privatisierung ehemaliger Staatsunternehmen im Bereich von Post, Telekommunikation und Eisenbahn in den 1980er- und 1990er-Jahren in Europa zurück. Somit ist die Vorstellung des Buches "Kohl-Witze" von Wolfgang Günther alias Heidi Fienhold in meinem Video auch eine Zeitreise in die politische Landschaft der 1980er-Jahre in der Bundesrepublik Deutschland, eigentlich sogar in ganz Europa.
Verwandte Themen: 100 Jahre Rewe, Fernsehen 1954, Denkender Falk-Plan, Pride Telecom |
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